Mascha Kaléko über Emigration und Heimweh im Frühling
In einem Interview mit dem Sender Freies Berlin am 01. Juni 1956 blickt die Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975) auf ihre ersten Emigrationsjahre zurück und…
Mit Bismillah, dem Namen Gottes,
beginnt die Geschichte, Teil des Gebotes.
Im jungen Alter, nur 13 Jahre alt,
begibt mich eine Reise, die mein Leben malt.
Versink das Herz im Mittelmeer: sagte meine Mutter
und das Schicksal war beschlossen.
Los ging die Reise nach Alman,
suchten wir also nach der Lebensbahn.
Bäume voller Geld, ein Trugschluss im Verstand,
Vater, Mutter ohne Arbeit, doch Hoffnung in der Hand.
Das Paradies in Europa, so haben wir gedacht,
doch die Realität hat uns bitterlich bedacht.
Flucht, verlorene Identität, Sprachweh, Heimweh.
Der Groll, der zerfrisst meine Kehle.
Von Iran nach Deutschland, 41 Tage,
hier kommt nun meine Klage.
Mit Tränen in den Augen und Angst im Herzen,
verließ ich mein Zuhause, meine vertrauten Schmerzen.
Ich ließ meine Kindheit hinter mir zurück,
mit jedem Schritt auf dem Weg, Stück für Stück.
In den iranischen Bergen begann die Flucht.
Hunderte Menschen, auf den Bergen,
und Ich, die Heimat sucht.
Soldaten lauerten, bereit zum Schießen,
Angst und Gefahr ließen Herzen frieren.
41 Tage vergingen, nur Brot und Trauben,
Wassermelone, der süße Geschmack im Glauben.
Der Reis verblasste, vergessen im Verzicht,
die Sehnsucht nach Geschmack, ein stummer Bericht.
In die Türkei kamen wir, über die Berge.
Ich sah nichts, aber die Grenzen der Erde.
60 Menschen in einem kleinen Boot,
gespielt wird da mit dem Tod.
In Griechenland angekommen, ein schwerer Schlag,
eine schwangere Frau verlor ihr Baby, an diesem Tag.
In Flüchtlingslagern erhielten wir Essen, doch nicht genug,
Ungerechtigkeit und mangelnde Sorge, ein bitterer Betrug.
Weiter ging die Reise, durch Serbien und Ungarn,
mein 10-jähriger Bruder, geschlagen von der Polizei.
Zwei Wochen ohne Dusche und Bad,
für Privilegierte unvorstellbar, so weit.
Doch wir erfuhren den Mangel und das Leid,
kein Wasser, um uns zu säubern bereit.
Als Unmensch wurden wir gebrandmarkt,
an der Grenze zu Ungarn, von der Polizei geschart.
Sie bespuckten uns mit Hass und Scham,
keine Ahnung woher so viel Hass stammt.
Eine Minute des Schweigens, tief und klar,
um der Bedeutung dieser Reise gewahr.
Die Erinnerungen so klar und rein,
doch fern liegt alles, was einst war mein.
Der Duft von Brot und frischer Luft,
die Straßen, die ich jeden Tag ging.
Die Melodie, die mein Herz besingt.
Doch nun bin ich hier, 7 Länder weit fort von dort,
und suche Trost in jedem Wort.
Die Sehnsucht nagt an meinem Sinn,
Ich möchte wieder zurück dorthin.
Verlassen von zuhause, verloren im Nichts,
Tränen im Augenblick, der Schmerz im Gesicht.
Die fremde Sprache, die mich verwirrte,
Die ungewohnte Kultur, die mich irritierte.
In diesem fremden Land als Ausländer hier,
ging ich stets zu den Ämtern, hin und her.
Um Aufenthaltstitel zu verlängern jedes Mal,
diese Geschichte ist sehr lang, deshalb egal.
Ich lernte die Sprache, Stück für Stück,
Ich tauchte ein in die neue Kultur,
Ich öffnete mich für neue Möglichkeiten,
und fand Hoffnung in mir selbst, in meinen Fähigkeiten.
Ich machte Abitur, nun studiere ich,
doch das macht mich nicht „Deutsch“, ein Irrtum in sich.
In dieser Welt voller Fremdheit,
suchte ich nach einem Platz, um zu sein.
Integration, ein Wort mir nicht bekannt,
stattdessen Assimilation, die mich umrandt.
Blond und weiß zu sein, niemals mein Ziel,
Ich lasse mich nicht ein auf dieses Spiel.
In der Einbürgerungsphase fand ich mich nun,
Ich wusste ja sehr genau was zu tun.
Ein kleines Buch so voller Macht,
der deutsche Pass in seiner Pracht.
Ein Dokument, das mich „Deutsch“ macht,
dadurch trank ich den Integrierten Saft.
Nicht so heilig wie der Koran,
dadurch komme ich aber sehr voran.
Mit dem deutschen Pass, so stolz in der Hand,
doch innerlich spüre ich, dass ich nicht ins Bild fand.
Sie sagen mir zurück in dein Land.
Am liebsten schlage ich sie gegen die Wand.
Ich bleibe hier, ich gehe nicht fort,
Ich bin hier, ich gehöre dazu, an diesem Ort.
Die Klage reicht, nun kommt Dankbarkeit:
Alhamdulillah, in dieser wunderbaren Zeit,
Dankbarkeit erfüllt mein Herz, so weit.
Danke, Allah, für deine unendliche Güte,
für alles, was ich habe, und auch nicht besitze.
Ich bin hier mit meiner Familie vereint,
Leben leben hier etwa einfacher scheint,
auch wenn das Herz nach Heimat weint.
Mein Wesen stark, mein Geist nicht zu erfassen,
In meiner Vielfalt, kann ich niemanden hassen.
Ich stehe aufrecht, unbeirrt und frei,
mein Dasein ist echt, egal, was ihr auch meint.
In meinem Herzen leben Stücke der fremde Länder,
und mein Akzent verrät mich, ist ja kein Wunder,
bin bereichert durch verschiedene Heimatstränder,
denn ich war, ich bin, ich bleibe immer ein Ausländer.
Maryam Jamalzade lebt seit 2015 in Deutschland und kommt ursprünglich aus Afghanistan.
Auf der Suche nach Stabilität und Identität hat sie auf dem Papier ein neues Zuhause gefunden, das sie nach ihren Vorstellungen gestalten kann. Im Rahmen des Projektes „Flucht – Exil – Partizipation: Citizen Science zu historischen und aktuellen Fluchterfahrungen als partizipative Bildungsarbeit (FEP) hat Maryam das Gedicht „Ausländer“ geschrieben, in dem sie ihre Reise aus Afghanistan nach Deutschland von Anfang an bis zur Gegenwart beschreibt.
Das Gedicht „Ausländer“ wurde erstmalig im Rahmen des Projektes Flucht – Exil – Partizipation: Citizen Science zu historischen und aktuellen Fluchterfahrungen als partizipative Bildungsarbeit auf der Webseite vom We Refugees Archiv veröffentlicht (22.08.2023).