Pinkhas Shvarts über die Ankunft in Vilnius

In der Nacht vom 5. auf den 6. September 1939, nur wenige Tage nach dem deutschen Angriff auf Polen, entschied sich eine Gruppe jüdischer Journalisten und Schriftsteller auf Geheiß der polnischen Regierung Warschau in Richtung Osten mit dem Zug zu verlassen, um dem deutschen Vormarsch zu entkommen. Pinkhas Shvarts (1902–1963) war einer unter ihnen und erzählt von der Ankunft in Vilnius.

אונדזער פּײַנלעכע װאַנדערונג האָט זיך גענומען דערנענטערן צום סוף. מיר האָבן ניט געװוּסט, װאָס עס דערװאַרט אונדז אין װילנע. אָבער מיר האָבן אַלע געפֿילט, אַז װילנע װעט זײַן אַ לענגערער אָפּשטעל אין לאַנגן גלות, װעלכער שטײט אונדז איצטער פֿאָר.

[…] שװער איז אונדז אַלעמען געװען אויפֿן געמיט, װען די באַן איז געפֿאָרן צום באַקאַנטן װילנער װאָקזאַל. הינטער אונדז איז געלעגן אַ שװערער װאַנדער־װעג, אַ פֿאַרשפּילטער קריג און דער אײגענער פֿאַרברענטער נעכטן. פֿאַר אונדז איז געװען אַ פֿינסטערע צוקונפֿט, אַ ביטערע גלות־פּערספּעקטיװ, אַן אומבאַשטימטער מאָרגן. דאָס אײנציקע, װאָס האָט געװאַרעמט אונדזערע הערצער, איז געװען די גרויסע האָפֿענונג אויף אַ צוקונפֿטיקן זיג פֿון די װײַטע פֿאַרבינדעטע איבער די שװאַרצע כּוחות פֿון היטלערן.

Unsere mühsame Wanderung näherte sich so langsam dem Ende. Wir wussten nicht, was uns in Vilna erwarten würde, aber wir fühlten alle, dass Vilna ein längerer Halt unseres langen Exils sein würde, das uns nun bevorstand.

[…] Wir alle waren schwermütig, als die Bahn in den uns wohlbekannten Vilnaer Bahnhof einfuhr. Hinter uns lag ein schwerer Wanderweg, ein verspielter Krieg und das eigene verbrannte Gestern. Vor uns lag eine finstere Zukunft, die Aussicht auf ein bitteres Exil und ein unbestimmter Morgen. Das einzige, was unsere Herzen erwärmte, war die große Hoffnung auf den zukünftigen Sieg der weitverzweigten Verbündeten über die schwarzen Kräfte Hitlers.

Am 10. Oktober 1939 erreichte der Journalistenzug nach einer langen, gefährlichen und erratischen Fahrt Vilnius. An Bord befand sich auch Pinkhas Shvarts. 11Herts, Y. Sh. (ed.), 1956–1968: Doyres Bundistn, Vol. 3. New York, S. 116–122; Schulz, Miriam, 2016: Der Beginn des Untergangs. Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden in Polen und das Vermächtnis des Wilnaer Komitees. Berlin: Metropol. http://metropol-verlag.de/produkt/miriam-schulz-der-beginn-des-untergangs/, S. 93 Er war Mitglied des Bund, Schriftsteller und Korrespondent der jiddischen Folks-tsaytung (Volkszeitung) in Warschau und Bruder des berühmten Chronisten des Holocaust in Litauen, Herman Kruk. 22Für biographische Details siehe Kruk, Herman, 2002. The Last Days of the Jerusalem of Lithuania: Chronicles from the Vilna Ghetto and the Camps, 1939–1944. New Haven: Yale University Press. Er war einer von wenigen polnisch-jüdischen Schriftstellern, die einen Sitzplatz im sogenannten Journalistenzug ergattern konnten, der in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1939 Warschau vorerst in Richtung Lublin verließ, um dem deutschen Einmarsch zu entgehen.

In Vilnius zögerten die exilierten jüdischen Geflüchteten nicht lange. Im November 1939 gründete eine Gruppe geflüchteter Schriftsteller- und Journalistenkollegen das Komitee zum Sammeln von Material über die Zerstörung jüdischer Gemeinden in Polen 1939. Es war die wohl früheste jüdische historische Kommission in Osteuropa, die im Schatten der deutschen Verbrechen im Geheimen begann, die Zerstörung des polnischen Judentums seit September 1939 zu dokumentieren. Pinkhas Shvarts überlebte die Shoah, indem er über Vilnius in Richtung New York entkam, und wurde 1957 Führungsmitglied des World Coodinating Committee des Bund.

    Fußnoten

  • 1Herts, Y. Sh. (ed.), 1956–1968: Doyres Bundistn, Vol. 3. New York, S. 116–122; Schulz, Miriam, 2016: Der Beginn des Untergangs. Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden in Polen und das Vermächtnis des Wilnaer Komitees. Berlin: Metropol. http://metropol-verlag.de/produkt/miriam-schulz-der-beginn-des-untergangs/, S. 93
  • 2Für biographische Details siehe Kruk, Herman, 2002. The Last Days of the Jerusalem of Lithuania: Chronicles from the Vilna Ghetto and the Camps, 1939–1944. New Haven: Yale University Press.

Exzerpt aus:

Pinkhas Shvarts, 1943: Dos iz geven der onheyb (New York: Farlag „Arbeter-ring“, Kapitel 3: In bombardirtn Lukov.

Von der Steven Spielberg Digital Yiddish Library des Yiddish Book Center.