Minderjährige spanische Bürgerkriegsgeflüchtete in Frankreich, fotografiert von Fred Stein

Zwischen 1936 und 1939 wurden mehr als 35.000 Kinder, die vor dem Spanischen Bürgerkrieg geflohen waren, in Frankreich untergebracht und versorgt. Fred Stein (1909-1967), der selbst 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Paris geflohen war, dokumentierte ihr Leben in den Geflüchtetenlagern fotografisch.

Blick nach Draußen, Valence, 1938, fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Nach dem Staatsstreich des faschistischen Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung Spaniens im Juli 1936, der den Spanischen Bürgerkrieg auslöste, bemühte sich die spanische Regierung, Kinder ins sichere Ausland zu evakuieren. Ein Großteil von ihnen kam nach Frankreich. International und in Frankreich hatten sich private Unterstützer*innen, humanitäre Organisationen, die Front Populaire und die französische Gewerkschaft CGT organisiert, um die Opfer der humanitären Katastrophe und insbesondere die geflohenen Kinder zu unterstützen. Zwischen 1936 und 1939 wurden insgesamt mehr als 35.000 von ihnen in Siedlungen oder bei Familien untergebracht und versorgt. Dabei zeigten sich auch viele Arbeiter*innen solidarisch, indem sie spendeten oder Kinder bei sich aufnahmen. 1938 hatten sowohl die Stimmung der Solidarität als auch finanzielle Mittel für die Unterstützung abgenommen, 1939 spitzte sich die Lage in Frankreich zu, nachdem die republikanischen Truppen in Spanien sich endgültig vor den rechtsnationalistischen Putschisten unter Franco zurückgezogen hatten und noch mehr Geflüchtete ins Land kamen. Auch politisch hatte sich ein harter Kurs gegen die Geflüchteten durchgesetzt.

In dieser Situation, 1938, engagierte die spanische, republikanische Regierung den Fotografen Fred Stein, um in den Siedlungen für die geflohenen Kinder Fotografien zur Werbung um Unterstützung über Medien zu machen. Über zwei Jahre besuchte Fred Stein – selbst Geflüchteter und überzeugter Unterstützer der sozialistischen und demokratischen Kräfte und Belange in Europa – insgesamt sieben verschiedene Flüchtlingslager, darunter das Lazarett von Bayonne, das Château de la Brosse in Colombes und die Siedlung in Valence. Seine Aufnahmen sind die einzige heute bekannte Sammlung von Fotografien dieser Kinderflüchtlingslager. 11Vgl. Texte von Peter Stein, Helen Janeczek, Christian Joschke, Michel Lefebvre und Dawn Freer in: Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2018: Kinder – Children. Dresden: Kunstblatt.

Fred Stein (1909­­­-1967) wurde als Sohn eines Rabbiners in Dresden geboren und schlug dort zunächst eine juristische Karriere ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Erlass, durch den diese bereits im Juni 1933 Jüdinnen*Juden ihre Anwaltszulassung entzogen, wurde die Laufbahn des Rechtsreferendars jedoch abgebrochen. Das politische, antifaschistische und sozialistische Engagement Fred Steins und das Wissen, dass die Gestapo Erkundigungen über ihn einholte, zwangen ihn bereits im Oktober 1933 zur Flucht. Gemeinsam mit seiner Frau Lieselotte (geb. Salzburg, genannt Lilo), die er noch im selben Jahr geheiratet hatte, begab er sich auf eine vorgetäuschte Hochzeitsreise nach Frankreich, von der sie nicht zurückkehrten.

Wie viele andere Geflüchtete versuchte das junge Paar, sich in Paris ein Leben aufzubauen. Fred Stein machte sein Hobby, die Fotografie, zum Beruf. Mit der Leica, die sich Lilo und er gegenseitig zur Hochzeit geschenkt hatten, zog er durch Paris. Dabei entwickelte er zwei Hauptsujets: die „Soziologie der Straße“ und „die Psychologie des Porträts“. Fred Stein nahm u.a. das jüdische Viertel Marais, den Glanz und die Armut auf den Pariser Straßen, die Arbeiter*innen, Bettler*innen, Verkäufer*innen und Kinder, die er dort antraf, das Caféleben der Emigrant*innen auf.

1935 porträtierte er Teilnehmende am Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris. Auch Hannah Arendt (1906-1975), mit der ihn eine lange Freundschaft verband, porträtierte er über 30 Jahre hinweg.

Fred und Lilo Steins Wohnung in Montmartre wurde zum Treffpunkt für viele Geflüchtete und gleichzeitig zum „Studio Stein“ mit dem Badezimmer als Dunkelkammer. Lilo arbeitete im Labor, retuschierte und machte eigene Fotos. Steins Fotografien wurden unter anderem in der für das Pariser Exilleben zentralen Buchhandlung und Galerie de la Pléiade gezeigt. Außerdem veröffentlichte er sie in illustrierten, insbesondere linken Magazinen wie dem „Regards“, in denen Sozialreportagen zu einem wesentlichen Element geworden waren.

Nicht nur durch seine sozialdokumentatorische fotografische Tätigkeit blieb Stein auch in Paris politisch aktiv: Er engagierte sich in der Antifaschistischen Journalistenvereinigung und schrieb unter dem Pseudonym Fritz Berg Artikel für die sozialistische Arbeiterpartei. Ab September 1939 kam Fred Stein wegen seiner deutschen Herkunft in verschiedene Internierungslager. Im Lager Villerbon verwaltete er eine kleine Lagerbibliothek und organisierte mit anderen Inhaftierten gegenseitige Unterrichtskurse, die sie scherzhaft als „la Sorbonne“ betitelten. In den Unruhen nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich entkam Fred Stein dem Internierungslager, und er fand, Lilo und die gemeinsame, 1938 geborene Tochter Marion in Toulouse wieder. 1941 gelang der Familie Stein mithilfe des von Varian Fry geleiteten Emergency Rescue Committee die Weiterflucht nach New York, wo sie sich dauerhaft niederließen und Fred Stein seine fotografische Tätigkeit fortsetzte. 22Vgl. Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2013: Fred Stein. Paris, New York, Berlin: Kehrer.

    Fußnoten

  • 1Vgl. Texte von Peter Stein, Helen Janeczek, Christian Joschke, Michel Lefebvre und Dawn Freer in: Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2018: Kinder – Children. Dresden: Kunstblatt.
  • 2Vgl. Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2013: Fred Stein. Paris, New York, Berlin: Kehrer.

Alle Fotografien von Fred Stein wurden dem We Refugees Archive mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein zur Verfügung gestellt.

© Fred Stein Archive