Diawara B. diskutiert das „Sicherheitsdekret“

Diawara B. spricht über das sogenannte Sicherheitsdekret der italienischen Regierung.

„Ci sono diverse cose qua che non funzionano, ad esempio i nuovi decreti che io chiamo il decreto insicurezza. Perché è un decreto che contraddisce se stesso, dice che vuole ridurre l’insicurezza, la disoccupazione, aiutare gli italiani, ridurre l’irregolarità. Ma questo decreto cosa ha fatto finora? Ha aumentato l’irregolarità, io sono senza documenti e tanti altri sono senza documenti. Poi dicono che non possiamo stare in comunità, nello sprar ma bisogna stare fuori.. se tu mi metti per strada, metti 10.000 immigrati per strada, questi dove vanno? E cosa fanno? Qualcuno gli dovrà dar da mangiare. O se sono venuti per essere liberi cercheranno di lavorare. Se non posso lavorare a regime contrattuale perché sono senza documenti, cosa andrò a fare? Un lavoro nero, lo chiamano nero perché ogni cosa nera è una cosa brutta, quindi sono brutto anch’io. Andrò a fare un lavoro nero, e facendo un lavoro nero – mettiamo che 1000 immigrati fanno il lavoro nero – che è questo che vogliono i datori di lavoro perché con il lavoro nero paghi di meno. Cosi facendo togli lavoro a chi ha i documenti e può fare questo lavoro contrattualmente, cioè a tanti italiani, e quindi togliendo lavoro a tanti italiani cosa fai? Aumenti la disoccupazione, l’insicurezza […].“

Intervista con Diawara B. a Palermo, il 12 giugno 2019

„Es gibt hier mehrere Dinge, die nicht funktionieren, zum Beispiel die neuen Dekrete, die ich das Unsicherheitsdekret nenne. Da es sich um ein Dekret handelt, das sich selbst widerspricht, sagt es, dass es Unsicherheit und Arbeitslosigkeit verringern, den Italienern helfen und Unregelmäßigkeiten reduzieren will. Aber was hat dieses Dekret bisher bewirkt? Es hat die Unregelmäßigkeiten verstärkt, ich bin ohne Dokumente und viele andere sind ohne Dokumente. Dann sagen sie, dass wir nicht in der Gemeinde, im Sprar bleiben können, sondern draußen bleiben müssen… wenn Sie mich auf die Straße setzen, 10.000 Einwanderer auf die Straße setzen, wohin gehen sie dann? Und was tun sie? Jemand wird sie füttern müssen. Oder wenn sie gekommen sind, um frei zu sein, werden sie versuchen zu arbeiten. Wenn ich nicht unter Vertrag arbeiten kann, weil ich keine Papiere habe, was soll ich dann tun? Ein schwarzer Job, sie nennen ihn schwarz, weil alles Schwarze schlecht ist, also bin ich auch schlecht. Ich werde nicht angemeldete Arbeit machen, und wenn ich nicht angemeldete Arbeit mache, sagen wir, dass 1000 Einwanderer nicht angemeldete Arbeit machen, was die Arbeitgeber wollen, weil nicht angemeldete Arbeit weniger bezahlt wird. Indem Sie also denen, die Dokumente haben und diese Arbeit vertraglich erledigen können, also vielen Italienern, Arbeit wegnehmen, was tun Sie dann, wenn Sie vielen Italienern Arbeit wegnehmen? Sie erhöhen die Arbeitslosigkeit, die Unsicherheit […]“.

Interview mit Diawara B., 12. Juni 2019, Palermo

Diawara B. problematisiert das sogenannte „Sicherheitsdekret“, welches Ende 2018 von der italienischen Regierungskoalition der Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord und dem Innenminister Matteo Salvini verabschiedet wurde. Das Dekret beinhaltet viele Änderungen in Bezug auf die Regulierung des internationalen Schutzes und der Einwanderung, die zu drastischen Einschnitten in der italienischen Asylgesetzgebung und -schutzsystem und damit zu radikalen Einschränkungen der (legalen) Möglichkeiten der Menschen, sich ein Leben in Italien aufzubauen, geführt haben.

So werden keine Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen mehr ausgestellt – und dies, wenn man bedenkt, dass etwa 20-25% der Asylanträge in den letzten Jahren in eine solche Genehmigung umgewandelt wurden. Dank humanitärer Erlaubnisse erhielten viele Migrant*innen Papiere, und hatten damit die Möglichkeit, sich in die italienische Gesellschaft zu integrieren. Durch die Abschaffung der Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen werden Tausende von Migrant*innen auf italienischem Territorium illegalisiert.

Dadurch wiederum sind mehr Migrant*innen zu illegaler Arbeit gezwungen.

Zudem wurde durch das Dekret das Aufnahmesystem in Italien drastisch eingeschränkt. Das bisher gut funktionierende italienische Schutzsystem für Asylbewerber*innen und Geflüchtete (SPRAR) sieht nur noch die Aufnahme von Migrant*innen vor, denen ein anerkannter Flüchtlingsstatus oder ein subsidiärer Schutz gewährt wurde (eine Ausnahme bilden weiterhin die unbegleiteten Minderjährigen). Was mit der Mehrheit der Geflüchteten passiert, denen der Zugang zu den SPRAR verwehrt bleibt, ist leicht vorstellbar und konterkariert das neue Gesetz namens „Sicherheitsdekret“.

Zudem kritisiert Diawara B., dass Geflüchtete durch die europäische Asylgesetzgebung in Europa verharren müssen. Damit ist vor allem die Dublin-Verordnung gemeint, derzufolge jener EU-Staat Verantwortung für die Bearbeitung eines Asylantrags hat, in dem ein*e Asylbewerber*in  zuerst in Europa registriert wurde. Ohne Anerkennungsstatus ist die Freizügigkeit von Geflüchteten in Europa stark eingeschränkt.

Wie entstanden die Selbstzeugnisse, Filme und Filmfragmente in Palermo?

Diawara B. und Diallo S. von Giocherenda gestalteten mit den Teilnehmenden Glory M., Fatima D., Ismail A., Kadijatu J., Marrie S. und Mustapha F. einen dreitägigen Workshop, indem es um ihre eigenen Erfahrungen in Palermo ging. Mit verschiedenen Ansätzen und Spielen konnten in der Gruppe persönliche Erfahrungen ausgetauscht und vor der Kamera des We Refugees Archiv Filmteam in der Black Box erzählt werden. Fatima D., Ismail A. und Mustapha F. erklärten sich bereit, außerhalb des Workshops von Giocherenda mit dem We Refugees Archiv Filmteam Kurzfilme über ihr Leben und ihre Themen in der Stadt zu drehen.

Giocherenda ist eine professionelle Organisation von und mit jungen Geflüchteten in Palermo, die Spiele zum Storytelling anbietet. Es geht im Ansatz nicht darum Geflüchteten zu helfen und zu unterstützen, sondern ausdrücklich um den umgekehrten Ansatz: Geflüchtete helfen Europäer*innen im gemeinsamen Zusammensein und Erfahrungsaustausch.

Giocherenda kommt aus der afrikanischen Sprache Pular und bedeutet Solidarität, aber auch Interdependenz and Stärke, die aus der Zusammenkunft der Menschen entsteht. Es ähnelt dem italienischen Wort „Giocare“ (Spielen), das das Kollektiv dazu inspirierte, Spiele zu entwickeln, die Erzählungen erzeugen und persönliche Erinnerungen teilen können.

Perspektive der Geflüchteten

Es wurde bewusst auf ein Drehbuch oder standardisierte Fragen in den filmischen Interviews verzichtet. Es ging allein um die Perspektive der Geflüchteten und die Themen, über die sie sprechen wollten. Einzige Vorgabe des Workshops war ein grober inhaltlicher Rahmen zu ihren Lebenserfahrungen in Palermo und ihren Visionen in naher Zukunft. Entsprechend konnten die Teilnehmenden frei entscheiden, was sie thematisieren und über welche Eindrücke, Probleme und Perspektiven sie sprechen wollten. Dass einige von ihnen dennoch über ihre Fluchterfahrungen nach Europa sprachen, beruhte also nicht auf einer Workshopvorgabe, sondern allein auf ihrer eigenen Entscheidung.

Interview mit Diawara B., 12. Juni 2019, Palermo

Interviewerin: Francesca Bertin
Kamera: Max Sänger
Produktion: Francesca Bertin