„Eure Vorbehalte helfen mir nicht“

Kefah Ali Deeb kam im Jahr 2014 nach Berlin und hat sechs Jahre lang in einer taz-Kolumne über ihre alte Heimat Syrien und ihr neues Zuhause Berlin geschrieben. Hier reflektiert sie über ihre Erfahrungen als Person, die wegen politischer Verfolgung nach Deutschland fliehen musste, und kritisiert die zunehmend restriktive Asylpolitik Deutschlands.

Das BAMF stellt Asylentscheide für Syrer zurück. Unter syrischen Flüchtlingen in Deutschland sorgt diese Nachricht für Ärger und Unmut. Fordert eure Regierung auf, dem Missbrauch der Flüchtlingsfrage ein Ende zu setzen!

© Lena Kern

Vor wenigen Tagen ging in einigen Berliner Bezirken die Nachricht um, Syrerinnen und Syrer würden zur Rückkehr nach Syrien aufgerufen, da ihr Land sie brauche: Der Krieg sei vorbei, Sicherheit und Stabilität seien wiederhergestellt.

Das BAMF 11Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (Anmerkung der Redaktion). stellt einem Medienbericht der Funke Mediengruppe zufolge seit einigen Wochen Asylentscheide für Syrerinnen und Syrer zurück. Hintergrund sei laut dem Bericht, dass das BAMF die Sicherheitslage in Syrien neu bewerte. Fast parallel dazu veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie, aus der hervorgeht, dass jeder Zweite in Deutschland Vorbehalte gegenüber Asylsuchenden äußere.
Die Nachrichten verursachten Ärger und Unmut unter den Syrerinnen und Syrern in Deutschland, vor allem unter denjenigen, die Syrien nicht wegen des Krieges oder ISIS verließen, sondern weil sie politisch verfolgt wurden. Diese Menschen haben ihr ganzes Leben hinter sich gelassen und waren geflüchtet aus Angst, verhaftet, verschleppt, gefoltert oder gar in den Gefängnissen getötet zu werden.

Ich bin einer dieser Menschen. Ich habe nie geplant, Syrien zu verlassen oder nach Deutschland zu kommen. Ich bin nur hier, weil ich keine andere Wahl hatte. Nach vier Jahren liebe ich dieses Land, als hätte ich immer hier gelebt. Ich bemühe mich stets darum, dass Deutsche und Syrer sich näherkommen und besser kennenlernen. Ich lebe in der Hoffnung, dass ich und andere syrische Geflüchtete eine echte Chance bekommen, nach Syrien zurückzukehren. Aber dass der Krieg nun fast beendet ist, bedeutet noch lange nicht, dass die Diktatur vorbei und die Demokratie etabliert ist.

Hass gegen Flüchtlinge

Das Land braucht einen politischen Wandel, der in eine demokratische Regierung mündet, die Freiheit, Bürgerrechte und Recht auf freie Meinungsäußerung respektiert und garantiert; ein System, das keine Studenten, Intellektuelle, Wissenschaftler, Journalisten und Ärzte verfolgt, nur weil sie anders denken.

Ja, ich werde in meine Heimat zurückkehren, weil sie mich braucht. Doch wenn ich an der Grenze verhaftet werde, diene ich niemandem.

Fordert eure Regierung auf, mir Unversehrtheit zu garantieren, und ich werde zurückkehren! Ich werde sogar andere dazu überreden, es mir gleich zu tun.

Hört endlich auf, Hass gegen Flüchtlinge zu schüren. Das nutzt niemandem, ganz im Gegenteil. Es vertieft die Gräben zwischen euch und ihnen. Entscheidet euch nicht für die Diktatur. Fordert eure Regierung und die Regierungen der Welt auf, dem Missbrauch der Flüchtlingsfrage ein Ende zu setzen. Ihr seid heute ganz besonders aufgefordert, für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde einzutreten.

    Fußnoten

  • 1Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (Anmerkung der Redaktion).

Kefah Ali Deeb (*1982) ist bildende Künstlerin und Autorin von Kinderbüchern und KInderzeitschriften aus Syrien. Sie floh 2014 nach Berlin und hat über sechs Jahre in der taz-Kolumne „Nachbarn“ über ihre alte Heimat Syrien und ihr neues Zuhause Berlin geschrieben. Sie ist Redakteurin von Handbook Germany, einem Informationsportal von und für geflüchtete Menschen. Zudem publiziert sie in weiteren deutschen Zeitschriften wie ZEIT online und 51 °. Als Aktivistin ist Kefah Ali Deeb u.a. Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien. Über das Projekt Multaka gibt sie im Berliner Pergamon Museum Führungen.

Ausgangspunkt von Kefah Ali Deeps Artikel „Eure Vorbehalte helfen mir nicht“ waren die Nachrichten aus dem Frühjahr 2019, die zeigten, dass das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) Entscheidungen über Asylanträge von Syrer*innen zurückstellte, weil es die Sicherheitslage im Land neu bewerteten. Durch den in Syrien seit 2011 andauernden Krieg und die Verfolgung, Inhaftierung und Folter von Gegner*innen des Asad-Regimes galten und gelten syrische Geflüchtete als Asylbewerber*innen mit „hoher Bleibeperspektive„. Auch Syrer*innen, die keine persönliche politische Verfolgung nachweisen können, werden unter subsidiären Schutz gestellt. Dieser umfassende Schutz, zu dem auch ein Abschiebestopp gehört, wird in den letzten Jahren von einigen Akteuren der deutschen Politik und Gesellschaft jedoch zunehmend infrage gestellt. Forderungen nach einer Aufweichung des Abschiebstopps werden von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl oder Adopt a Revolution scharf verurteilt, da die Beendigung des Krieges zugunsten des Asad-Regimes in weiten Teilen des Landes keinesfalls ein Ende der bedrohlichen Verfolgungssituation bedeutet.

Auch Kefah Ali Deep, die selbst in Syrien politisch verfolgt wurde, kritisiert diese Tendenzen in der deutschen Asylpolitik und öffentlichen Meinung. Sie hebt hervor, dass sie ihr Land unfreiwillig verlassen habe und selbstverständlich zurückkehren würde, wenn sie die Möglichkeit hätte. Da aber die Macht des Regimes, das sie verfolgt(e), nicht mit dem Krieg endet, würde eine Rückkehr für sie und andere politisch Verfolgte ein zu hohes Risiko bedeuten: „Ja, ich werde in meine Heimat zurückkehren, weil sie mich braucht. Doch wenn ich an der Grenze verhaftet werde, diene ich niemandem.“

Sie ruft die Leser*innen und die nicht geflüchtete, deutsche Gemeinschaft dazu auf, keinen Hass gegen Geflüchtete zu streuen und ihre Regierungen aufzufordern, die Flüchtlingsfrage nicht mehr zu missbrauchen.

Diese Veröffentlichung des Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Kefah Ali Deeb.

Die Erstveröffentlichung erschien am 06. Mai 2019 in der taz Kolmne Nachbarn: https://taz.de/Kolumne-Nachbarn/!5592535/ (26.08.2020)

Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche Mustafa Al-Slaiman.