אחר כך טיילתי ברחובות האפלוליים והמית לבבי לא שככה. הרהורים שונים התרוצצו במוחי. יש עתיד לעם — חשבתי — שנוער כזה לו. לא נכרתה תקוותנו, אם בימי מסה אלה ידענו להקים מקרבנו מחנה כזה. טיילתי ברחובות השוממים ולא יכולתי לשכוח את פניהם המשולהבות ואת עיניהם הבוערות. וילנה, וילנה! התכניסים תחת כנפיך? התהיי להם מקלט עד יעבור זעם?
„Danach wandelte ich durch die dunklen Straßen von Vilnius und die Regung meines Herzens ebbte nicht ab. Unterschiedlichste Gedanken schossen mir durch den Kopf. Dieses Volk hat eine Zukunft, dachte ich, wenn es eine solche Jugend hat. Unsere Hoffnung wurde nicht untergraben, wenn wir es in diesen schweren Tagen verstanden, aus unserer Mitte ein solches Lager zu errichten. Ich wandelte durch die leeren Straßen und konnte die vor Aufregung erröteten Gesichter und flammenden Augen der leidenschaftlich Brennenden nicht vergessen. Vilnius, Vilnius! Wirst du sie unter deine Fittiche nehmen? Wirst du ihnen Zufluchtsstätte sein, bis der Grimm vorüber ist?
Benzion Benshalom richtet sich mit diesen euphorischen Worten an seine zwischenzeitliche Zufluchtsstadt Vilnius, kurz nachdem er diese erreicht und dort zum ersten Mal einer großen zionistischen Versammlung beigewohnt hatte, die er als sehr bewegend wahrnahm.
Benzion Benshalom (Katz) wurde 1907 in Galizien geboren und studierte, promovierte und lehrte bis 1939 an der Krakauer Universität Hebräisch. Wie viele andere polnischen Jüdinnen*Juden floh er vor der einmarschierenden Wehrmacht 1939 mit seiner Familie in das bis 1941 noch neutrale und unbesetzte Vilnius. Die gerade erst im Oktober 1939 unter litauische Kontrolle gekommene Stadt wurde mit Kriegsbeginn zum Zufluchtsort für tausende jüdische und nicht-jüdische Geflüchtete aus dem besetzten Polen. Im Frühjahr 1940 gelang es ihm, von dort aus ins britische Mandatsgebiet Palästina zu emigrieren. Bis zu seinem Tod 1968 arbeitete er u. a. an der Tel Aviv University als hebräischer Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Autor. Vor und nach seiner Immigration war Benzion Benshalom (Katz) in zionistischen Organisationen aktiv, so leitete er zwischen 1941 und 1963 das Jugend- und HeChaluz Departement der Jewish Agency.
Seine Erinnerungen an die Zeit in Vilnius hielt er im bereits Anfang der 1940er Jahre veröffentlichten Buches „Im Sturm eines windigen Tages“ (בסער ביום סופה), im Kapitel „Tage und Nächte in Vilnius“ (ימים ולילות בוילנה) fest. Auch in diesen Memoiren spielen zionistische Jugendorganisationen eine zentrale Rolle. Für Benshalom ist Vilnius, das „Jerusalem von Litauen“, von Anfang an eine Zwischenstation auf dem Weg nach Palästina. Vilnius war wie andere europäische und insbesondere mittel- und osteuropäische Städte schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Zentrum mehrerer zionistischer (Jugend)Organisationen wie HeChaluz oder HaShomer HaTzair geworden, die jüdische, ausreisewillige Menschen mit landwirtschaftlichen und handwerklichen Schulungen auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten und ihre Emigration dorthin organisierten. Einige dieser ausbildenden Aktivitäten wurden vom polnischen Ehepaar Bolesława und Edmund Zdanowscy fotografisch festgehalten.
Benshalom beschreibt Vilnius einerseits als Hafen der Hoffnung für jüdische Geflüchtete, die dort noch die Organisationen und Strukturen vorfinden, die unter sowjetischer und deutscher Besatzung unterdrückt wurden. Anfangs drückt er wie hier seine Euphorie angesichts der virulenten Tätigkeiten und hoffnungsvollen Versammlungen dieser zionistischen Organisationen und bezeugt die Strukturen jüdischer Hilfe zur Selbsthilfe in Vilnius, andererseits beschreibt er die vielen Schwierigkeiten und Ängste der verschiedenen nach Vilnius geflüchteten Menschen: den harten Winter, die Furcht vor der drohenden deutschen Besatzung, das Verstecken vor den litauischen Behörden, die allgemeine Verzweiflung in einer Stadt, die er zunehmend als trostlos wahrnahm.
Ausschnitt aus:
Benshalom, Benzion, 1943/44: BeSa’ar beYom Sufa, Polin (בסער ביום סופה. פרקי פולין) [Im Sturm eines windigen Tages, Abschnitte über Polen]. Tel Aviv: Mosad Bialik. S. 156.
Übersetzung aus dem Hebräischen ins Deutsche © Minor Kontor.