Erklärt mir bitte, was Integration ist!

Kefah Ali Deeb kam im Jahr 2014 nach Berlin und hat sechs Jahre lang in einer taz-Kolumne über ihre alte Heimat Syrien und ihr neues Zuhause Berlin geschrieben. In diesem Artikel kritisiert sie die intransparenten Ansprüche, die mit dem Schlagwort „Integration“ verbunden sind, und beschreibt ihre Schwierigkeiten, gleichzeitig zu arbeiten und Deutsch zu lernen.

Natürlich wusste ich schon vor meiner Ankunft in Deutschland, dass ich Deutsch lernen muss. Aber dann kam mir die Integration dazwischen.

Mein Deutsch scheiterte am ‚Integrationsdilemma‘: Ich hatte Arbeit, aber fehlte im Sprachkurs

Kefah Ali Deeb © Lena Kern

Wenige Wochen nach meiner Ankunft in Deutschland benötigte ich eine Bescheinigung von einer deutschen Behörde, weshalb ich mich an eine Sachbearbeiterin der besagten Behörde wandte. Ich ging in ihr Büro, begrüßte sie, entschuldigte mich dafür, dass ich noch nicht Deutsch sprach, und schilderte ihr mein Anliegen höflich auf Englisch. Ich gab ihr einen Zettel, auf dem in deutscher Sprache stand, was ich brauchte, und zeigte ihr meinen vorläufigen Flüchtlingsausweis.

Sie musterte mich prüfend von oben bis unten und sagte dann schnippisch, während sie mir die Bescheinigung hinschob: ‚Wir sprechen in Deutschland Deutsch. Und wenn du Englisch sprechen willst, geh dorthin, wo man Englisch spricht.‘

Ich war schockiert, nahm das Dokument, ging hinaus und weinte. Ich dachte nicht im Entferntesten daran, mich über sie zu beschweren, und behielt das Vorgefallene für mich. Denn im Grunde schämte ich mich meines Flüchtlingseins. Mir wurde bewusst, dass der Alltag nicht ganz einfach sein würde.

Natürlich wusste ich schon vor meiner Ankunft in Deutschland, dass ich Deutsch lernen sollte. Es liegt ja auf der Hand: Wer in einem fremden Land leben will, soll dessen Sprache sprechen. Das sollte selbstverständlich sein. Also suchte ich eine Sprachschule, um einen Sprachkurs zu absolvieren. Doch kurz darauf sah ich mich mit dem ‚Integrationsdilemma‘ konfrontiert. Am Deutschlernen scheiterte ich später. Gleichwohl lernte ich viel über die deutsche Kultur und Geschichte und wurde in den Arbeitsmarkt integriert. Dadurch fehlte ich erst recht sehr häufig in der Sprachschule, da ich viel arbeitete.

Trotzdem werde ich immer noch öfter mit der Frage konfrontiert: Du bist schon so lange in Deutschland und hast immer noch nicht Deutsch gelernt? Du lebst seit vier Jahren in Deutschland und besuchst immer noch die Stufe B1? Um diese Frage nicht mehr hören zu müssen, begann ich vor einigen Monaten schließlich wieder, den Sprachkurs zu besuchen.

In meinem Kurs bin ich die einzige Araberin. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus europäischen oder amerikanischen Ländern, leben schon länger in Deutschland als ich. Wir haben alle mehr oder weniger das gleiche Sprachniveau. Als ich von meinen Erfahrungen erzählte, waren die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erstaunt, da sie nie mit solchen Fragen konfrontiert wurden. Hat es damit zu tun, dass ich eine Geflüchtete bin? Aus einer bestimmten Region komme? Oder gibt es andere Gründe?

Ich möchte zum Schluss gerne wissen: Sind wirklich alle Deutschen integriert? Was bedeutet Integration eigentlich? Kann mir das jemand bitte so erklären, dass ich auch mitmachen kann?“

 

Kefah Ali Deeb (*1982) ist bildende Künstlerin und Autorin von Kinderbüchern und KInderzeitschriften aus Syrien. Sie floh 2014 nach Berlin und hat über sechs Jahre in der taz-Kolumne „Nachbarn“ über ihre alte Heimat Syrien und ihr neues Zuhause Berlin geschrieben. Sie ist Redakteurin von Handbook Germany, einem Informationsportal von und für geflüchtete Menschen. Zudem publiziert sie in weiteren deutschen Zeitschriften wie Zeit online und 51 °. Als Aktivistin ist Kefah Ali Deeb u.a. Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien. Über das Projekt Multaka gibt sie im Berliner Pergamon Museum Führungen.

Im Kolumnenbeitrag „Erklärt mir bitte, was Integration ist“ beschreibt Kefah Ali Deeb ihre Probleme, nach der Ankunft in Deutschland so schnell wie möglich Deutsch zu lernen und gleichzeitig zu arbeiten. Sie kritisiert zudem die Ansprüche der Umwelt an die Integrationsfortschritte geflüchteter Menschen, da diese zum einen intransparent und zum anderen strenger als bei nicht geflüchteten Migrant*innen seien.

 

 

Diese Veröffentlichung des Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Kefah Ali Deeb.

Die Erstveröffentlichung erschien am 15. April 2019 in der taz Kolmne „Nachbarn“: https://taz.de/Kolumne-Nachbarn/!5585032/ (26.08.2020)

Übersetzung aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman.