ABC des Ankommens

Was gibt Menschen im Exil das Gefühl und die Sicherheit, im Aufnahmeland wirklich angekommen zu sein? Welche Voraussetzungen braucht es dafür, und was müssen beide Seiten – Geflüchtete ebenso wie die aufnehmende Gesellschaft – tun, damit das Ankommen gelingt? Antworten geben junge geflüchtete Menschen in diesem Alphabet des Ankommens. Es entstand im Rahmen eines Workshops der Stiftung Exilmuseum Berlin und des We Refugees Archivs. Herzlichen Dank an die Teilnehmer:innen İsa Artar, Kefah Ali Deeb, Alaa Muhrez, Widad Nabi, Ibrar Mirzai und Nazeeha Saeed.

Workshopteilnehmende © Stiftung Exil Museum

A wie Anfang

Womit fängt Ankommen an? Mit der Überquerung der Grenze? Mit dem Spracherwerb? Wenn man sich ein soziales Umfeld aufgebaut hat? Zunächst treibt einen die Angst um das eigene Leben ins Exil. Dort warten neue, andere Ängste: Wie geht es meiner Familie? Werde ich mir hier eine Zukunft aufbauen können? Dann empfindet man Erleichterung, weil man endlich in Sicherheit ist: Manche sind angekommen, sobald sie das neue Land betreten haben. Andere stecken noch jahrelang innerlich an der Grenze fest. Ankommen bedeutet auch: für das Ankommen bereit zu sein.

Beginning

Where does arrival begin? With crossing the border? With learning the language? Once you’ve found a community? At first, fear for your own life drives you into exile. Then new, different fears await: How is my family doing? Will I be able to build a future here? Then you feel relief because you are finally safe. Some arrive as soon as they set foot into the new country. Others are still—internally—stuck at the border for years. Arriving also means being ready to arrive.

B wie Bildung

Bildung – die Chance, zu lernen und neue Fähigkeiten aufzubauen – ist eine der wichtigsten Dinge, um als Geflüchtete:r wirklich ankommen zu können. Sie ist für uns essentiell, um den Neuanfang schaffen zu können. BAföG zu erhalten, kann sich deshalb anfühlen wie ein Stipendium. Beide Seiten – Staat und Geflüchtete – können kurz- und langfristig davon nur profitieren: So entsteht für uns die Möglichkeit einer gleichberechtigten Zukunft.

Education

Education—the chance to learn and acquire new skills—is one of the most important things for refugees in order to settle down. It is essential for us to be able to make a new start. Receiving BAföG can therefore feel like a scholarship. Both sides, the state and the refugees, can benefit from this in the short and long term: This creates the possibility of an equal future for us. [BAföG, the German federal training assistance act, is a state-sponsored system of student loans.]

C wie Chancen

Wir fliehen, weil wir eine Möglichkeit suchen, frei und in Würde zu leben, wir hoffen auf neue Chancen im Exil. Oft unterscheiden sich jedoch die erhofften Chancen erheblich von den tatsächlichen. Die neue Umgebung kann dir die Chance geben, ein neues Leben anzufangen. Aber wir beginnen es oft an einem Punkt extremer Verwundbarkeit und müssen hart für unsere Rechte und Chancen kämpfen.

Opportunities

We flee looking for a chance to live in freedom and dignity; we hope for new opportunities in exile. Often, however, the hoped-for prospects are very different from the real ones. The new environment can give you the chance to start a new life. But many of us start at a point of extreme vulnerability, and we have to fight hard for our rights and opportunities.

D wie Distanz

Im Exil bin ich mir der physischen Distanz zum Heimatland und zu den Menschen dort sehr bewusst. Es ist möglich, Kontakt zu halten, aber in der Pandemie wird die Entfernung immer größer. Und dann gibt es da noch die zwischenmenschliche Distanz: In der Heimat war ich meinen Freunden und der Familie näher, Zugehörigkeit fühlte sich selbstverständlicher an. Die kulturellen Unterschiede hier im neuen Land sind manchmal schwer zu überwinden, der Sinn für Humor kann beispielsweise ganz anders sein. Aber mit manchen neuen Freunden haben wir es geschafft, jede Distanz zu überwinden.

Distance

In exile, I am very aware of the physical distance from my home country and the people there. It is possible to keep in touch, but in the pandemic the distance becomes bigger and bigger. But there is also the human distance. In my homeland I felt closer to friends and family; belonging felt more natural. The cultural differences can be hard to overcome—for example, the sense of humor can be very different here. But with some new friends we have managed to overcome every distance.

E wie Erinnerung

Ankommen kann bedeuten, dass man anfängt, in der Vergangenheit zu leben. An einem sicheren Ort kommen die Erinnerungen zurück, das Trauma kommt zum Vorschein, man beginnt zu verstehen. Die Erinnerungen sind anfangs stark, aber allmählich verblassen sie und werden vom neuen Leben und seinen Anforderungen überlagert. Nach ein paar Jahren verlieren viele von uns einen Teil der emotionalen Bindung zu ihrem Heimatland. Sie beginnen, mehr an die Gegenwart und die Zukunft hier zu denken als an die Vergangenheit. Aber das schmerzt. Erinnerungen sind wie Wurzeln, und niemand kann seine Wurzeln abschneiden, ohne dass ein Teil von ihm stirbt.

Memories

Arriving can mean you start living in the past. In a safe place, the memories come back. The trauma emerges. You begin to understand. The memories are strong at first, but gradually they fade; the new life and its demands override them. After a few years, many people lose some of their emotional attachment to their home country. They start to think more about the present and the future here than about the past. But that’s painful. Memories are like roots, and no one can cut off their roots without dying.

F wie Freunde und Familie

Menschen sind soziale Wesen, sie brauchen Freunde und Familie. War ich zuhause umgeben von Freunden und Familie, bin ich im Exil zunächst allein. Wir halten Kontakt zu jenen zuhause, aber wir suchen uns neue Freunde, neue Familien: Erst sie normalisieren das Leben, sie geben dem neuen Ort Sinn, sie machen ihn zur Heimat.

Friends and Family

People are social animals. They need friends and family. At home, you were surrounded by friends and family, but in exile you are alone at first. We keep in touch with those at home, but we look for new friends, new families. They normalize life, give meaning to the new place—make it a home.

G wie Generationsunterschiede

Die Qualität des Ankommens hat auch mit dem Alter zu tun: Unsere Kinder haben viel bessere Chancen, Teil der neuen Gesellschaft zu werden als ältere Generationen. Sie gehen in die Schule und kommen mit Deutschen in Kontakt, während wir Erwachsene von den alten Erinnerungen und Wurzeln geprägt sind. Wir möchten unseren Kindern auch die eigene Kultur vermitteln – doch wie? Die Jüngeren fühlen sich in der Kultur der Eltern fremd, die Älteren in der deutschen.

Generation Gap

The quality of arrival also has to do with age. Our children have much better chances of becoming part of the new society than older generations. They go to school and come into contact with Germans, while we adults are shaped by our old memories and roots. We also want to teach our children about our own culture. But how? The younger ones feel foreign in their parents’ culture, while the older ones don’t feel at home in the German one.

H wie Heimat

Was ist Heimat? Sich zu Hause zu fühlen ist eine ziemlich fortgeschrittene Stufe des Ankommens. Wann ist sie erreicht? Wenn es einen Ort mit meinem Namen an der Tür gibt? Eine Verbindung zu meinem ‘Kiez’? Ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit? Der Moment, wenn ich das erste Mal denke: ‘Ich bin ein:e Berliner:in’? Manchmal ist das Heimweh jedoch zu groß. Heimat, das sind Erinnerungen, glückliche und traurige. Doch man kann mehrere Heimaten haben, wenn man dort Erinnerungen sammelt.

Home

What is this German word called “Heimat”? Feeling at home is a fairly advanced stage of arrival. When is it reached? When there’s a place with my name marked on the door? When I have a connection to my neighborhood? A sense of community and belonging? The moment when I think for the first time, “I am a Berliner”? Sometimes, the homesickness is too great, however. Home—that is memories, happy and sad. You can have several homes if you collect memories there.”

I wie Ideen der Integration

Integration wird oft als Einbahnstraße verstanden: Wir sollen uns möglichst stark an die Aufnahmegesellschaft anpassen, möglichst deutsch werden. Doch Integration ist kein Kleidungsstück, das wir einfach überziehen können, indem wir unsere Identität aufgeben. Auch die Aufnahmegesellschaft sollte etwas zur Integration beitragen und nach Gemeinsamkeiten suchen. Erst dann kann das Gefühl entstehen, dazu zu gehören und teilzuhaben.

Ideas about Integration

Integration is often understood as a one-way street. We are supposed to adapt as much as possible to the host society, to become as German as possible. But integration is not a garment that we can simply put on by giving up our other identities. The host society should also contribute something to integration and look for common ground. Only then can a sense of belonging and inclusion emerge.

J wie Jemand anderes werden

Im Exil muss man ein Chamäleon sein und sich ständig neuen Umständen anpassen. Das Exil lehrt dich Dinge, die du nicht erwartet oder gewusst hast, es bringt dich in Situationen, über die du vorher nie nachgedacht hast. Nach der Erfahrung des Exils, den einsamen Nächten, den hoffnungslosen Tränen und der harten Kälte Europas wirst du jemand anderes, manchmal stärker, ein anderes Mal zerbrechlicher. Du lernst zu kämpfen und Verantwortung für dich selbst zu übernehmen. Dadurch verändert sich deine Identität und entwickelt sich.

Becoming Someone Else

In exile you have to be like a chameleon, constantly adapting to new circumstances. Exile teaches you things you didn’t expect or know. It puts you in situations you never thought about before. After the experience of exile, the lonely nights, the hopeless tears and the harsh coldness of Europe, you become someone else, sometimes stronger, sometimes more fragile. You learn to fight and take responsibility for yourself. Through this, your identity changes and develops.

K wie Kulturtransfer

Die Medien reproduzieren oft Stereotypen über unsere Heimat oder zeigen sie einseitig z.B. als Kriegsgebiete. Stattdessen sollten sie etwas über die Kultur des Landes, die Musik usw. erzählen. Das könnte Neugierde auf uns, unsere Heimatländer oder zumindest darauf erzeugen, wo sie auf der Landkarte liegen. Die Neugierde kann Brücken bauen, und auch wir selbst müssen dazu beizutragen. Aber umgekehrt braucht es dafür auch den Wunsch der Aufnahmegesellschaft, etwas über die Kultur der Neuankömmlinge lernen zu wollen.

Cultural Transfer

The media often reproduce stereotypes about where we’re from, or show it in an oversimplified way, for example, as a war zone. But they should tell something about the culture of our homelands, the music, the food, and so on. This would generate curiosity about us and about our home countries (or at least where they are on the map). Curiosity can build bridges, and we must contribute to this, too. But, reciprocally, it also requires the desire of the host society to learn something about the culture of the newcomers.

L wie Leben in Freiheit?

Exil bedeutet ein Leben in Freiheit. Aber es kann sich auch wie eine andere Art Gefängnis anfühlen – durch die Isolation oder die Sprachbarriere. Und: Wirklich frei fühle ich mich erst dann, wenn ich Ja sagen kann, wie ich will und mir die Entscheidungen nicht vorgeschrieben werden; wenn ich die freie Wahl habe, welchen Werten ich treu sein will.

Living in Freedom?

Exile means living in freedom. But it can also feel like another kind of prison, due to isolation or the language barrier. And I only feel really free when I can say Yes whenever I want to and the decisions are not forced on me; when I have the free choice of which values I want to stick to.

M wie Mitsprache

In der Heimat hat man versucht, uns zum Schweigen zu bringen, im Exil gewinnen wir unsere Stimme zurück. Aber auch auf politischer Ebene brauchen wir unsere eigenen Interessensvertreter:innen, sonst werden wir immer „die Anderen“ bleiben.

Having a Voice / Participation

At home, they tried to silence us. In exile, we are getting our voices back. But on the political level we need our own representatives, too. Otherwise we will always remain “the Others.”

N wie Neuer Alltag

Im Exil beginnst du ein neues Leben bei Null. Du hast alles verloren, was du mal hattest. Es ist fast, als wärst du ein neugeborenes Baby: Du verstehst die Sprache nicht, die Gesellschaft, die Kultur, die Gesetze. Der eigene Alltag muss komplett neu aufgebaut werden. Die alten Routinen funktionieren im neuen Land nicht. Alles muss neu erarbeitet werden. Und wie bei Babys braucht es Zeit, all das zu lernen.

New Daily Life

In exile, you start a new life from scratch. Whatever you had, you’ve lost. It’s almost as if you were a newborn baby. You don’t understand the language, the society, the culture, the laws. Your everyday life has to be rebuilt completely. The old routines don’t work in the new country. Everything has to be worked out anew. And like babies, it takes us time to learn all that.

O wie Ohnmacht

Die Flucht hinterlässt einen zunächst ohnmächtig: Man fühlt sich nutzlos, wenn man seinen eigenen Leuten, seiner eigenen Familie zu Hause nicht helfen kann. Das ist sehr schmerzhaft. Und auch, wenn man gerade erst im neuen Land angekommen ist – bevor man arbeitet oder irgendetwas tut – fühlt man sich nutzlos, besonders, wenn man zu Hause „jemand war“.

Powerlessness

Fleeing home makes you powerless at first. You feel useless when you can’t help your own people, even your own family at home. That is very painful. And when you’ve just arrived in the new country—before you work or do anything—you feel useless as well, especially if you were “somebody” at home.

P wie Papierkram

In den meisten Fällen müssen Geflüchtete kompliziertere bürokratische Verfahren durchlaufen als Einheimische. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein neues Land, in dem Sie die Sprache nicht sprechen, die Gepflogenheiten nicht verstehen und ein Verfahren durchlaufen müssen, von dem selbst die meisten Bürokraten nur sehr wenig verstehen – nun, viel Glück dabei! In vielen Fällen erhalten die Menschen professionelle Hilfe von NGOs, aber das reicht nie aus.

Paperwork

In most cases, refugees have to go through more complicated bureaucratic procedures than locals. Imagine going to a new country where you don’t speak the language, don’t understand the customs, and then have to go through procedures that not even the bureaucrats understand properly. Well, good luck with that! In many cases, people get professional help from NGOs, but it’s never enough.

Q wie Qualifikation und Arbeit

Bei Lebensläufen geht der erste Blick auf den Namen und Geburtsort. Erst danach, wenn überhaupt, auf die Qualifikation. Viele von uns müssen trotz guter Qualifikation und Arbeitserfahrung von Null anfangen. Abschlüsse und Qualifikationen werden nicht anerkannt oder behandelt, als wären sie nichts wert. Als ob wir nichts gelernt hätten. Als ob wir vor unserer Ankunft nicht existiert hätten …

Qualifications and Work

With résumés, the first glance is always at the name and place of birth—and only later at the qualifications, if at all. Many of us have to start from scratch despite having good qualifications and work experience. Degrees and credentials are not accepted, or they’re treated as if they were worth nothing. As if we have learned nothing. As if we did not exist before we arrived …

R wie Rückkehr

Wartet man auf die Rückkehr? Oder versucht man, vollkommen anzukommen – daran zu glauben, dass man hier ein Leben haben wird? Die Frage nach der Rückkehr wird mir oft gestellt. Ich hasse diese Frage, weil manche Leute sicherstellen wollen, dass man auf jeden Fall zurückkehrt und das eigene Leben nicht gestört wird. Aber können wir überhaupt zurückkehren? Wir sind gegangen, ohne eine Wahl zu haben. Nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil hat man sich dort ein neues Leben aufgebaut. Im eigenen Land wieder neu anzufangen ist für viele auch deshalb nicht möglich, weil sie andere Menschen geworden sind. Sie sind jetzt eine Mischung aus zwei Ländern.

Return

Do you wait for the return? Or do you try to arrive fully—in the belief that you will make a life here? I am often asked about my plans to return. I hate this question because some people want to make sure that you go back no matter what and that their own lives are not in any way disturbed. But can we return at all? We left without having a choice. We have built new lives after years, sometimes even decades, in exile. And for many, it’s impossible to start over again in their native countries because they have meanwhile become different people. They are now a mixture of two countries.

S wie Sprache

Sprache schafft Heimat. Jeden Tag, wenn ich ein neues deutsches Wort lerne, habe ich das Gefühl, dass ich mehr zu diesem Ort gehöre. Aber anfangs hatte ich eine regelrechte psychologische Sperre, Deutsch zu lernen. Die Leute waren auch sehr schroff, wenn man die Sprache nicht gleich beherrschte und versuchte, sich auf Englisch zu verständigen. Damit wir die Sprache der Aufnahmegesellschaft lernen können, brauchen wir die Mittel und Ressourcen dafür – und vor allem auch die Mitarbeit von Muttersprachler:innen.

Language

Language creates home. Every day when I learn a new German word, I feel like I’m belonging to this place more and more. But in the beginning I had a real psychological barrier to learning German. Also, people were very harsh if you didn’t master the language right away and tried to communicate in English. In order to learn the language of the host society, we need the means and resources to do so—especially the cooperation of native speakers.

T wie Trauma und Träume

Menschen im Exil sind meist vor Kriegen und Verfolgung geflohen. Obwohl die meisten die Sicherheit und Geborgenheit spüren, die ihnen von den Aufnahmegesellschaften gegeben wird, vergessen sie nie, was sie durchgemacht haben. Die Traumata sitzen tief: das Trauma, dass deinen Liebsten zu Hause etwas passiert ist und du nicht helfen kannst. Das Trauma der Geräusche von Feuerwerk für jemanden, der aus einem Konfliktgebiet kommt. Das Trauma, abgeschoben zu werden, in der neuen Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden. Deshalb ist in unserem Unterbewusstsein kein Platz für „schöne Träume“.

Trauma and Night Terrors

People in exile have mostly fled wars and persecution. Although most sense the safety and security given to them by host societies, they never forget what they have gone through. The traumas run deep: the trauma of something happening to your loved ones back home and not being able to help; the trauma triggered by the sounds of fireworks for someone coming from a conflict zone; the trauma of being deported; the trauma of not being accepted in the new society. That is why in our subconscious there is no place for “sweet dreams.”

U wie Unterkunft

Als Geflüchtete brauchen wir ein dauerhaftes Zuhause, um uns niederlassen und ein neues Leben beginnen zu können. Ohne ein eigenes Zuhause ist man noch immer unterwegs. Die Situation in Flüchtlingslagern, auch in deutschen, ist unmenschlich. Und manchmal lebt man dort mit genau den gleichen Menschen auf engstem Raum, vor denen man geflüchtet ist. In Flüchtlingsunterkünften lebt man in einem Paralleluniversum, in einer Blase. Dabei ist das Zusammenleben mit der Aufnahmegesellschaft ein Schlüssel zur Integration.

Shelter

People need a permanent home to settle down and start a new life. Without a place of your own, you are still on the move. The situation in refugee camps—also in Germany—is inhumane. And sometimes you live there close together with the very people you were fleeing. In refugee settlements, you live in a parallel universe, in a bubble, but living together with the host community is a key to integration.

V wie Vorurteile

„Flüchtling“ sein – das ist wie ein Mal auf der Stirn: Die Menschen glauben zu wissen, wer man ist. Sie denken, weil man zum Beispiel aus Bahrain oder Syrien kommt, ist man mit Sicherheit Muslim, eine unterdrückte Frau usw. Es werden einem Eigenschaften zugeschrieben, die man eigentlich gar nicht hat. Umgekehrt haben Neuankömmlinge aber auch Stereotypen über Deutsche. Sie müssen sich bemühen, mit Menschen außerhalb ihrer Blase zu interagieren und mehr Deutsche kennen zu lernen. Erst dann werden gegenseitige Vorurteile abgebaut.

Prejudices

Being a “refugee” is like having a mark on your forehead. People think they know who you are. They think that because you come from Bahrain or Syria, for example, you are definitely a Muslim, or you’re an oppressed woman, and so on. They hang labels on you that don’t actually apply. Vice versa, newcomers have stereotypes about Germans, too; they should to make an effort to interact with people outside their bubbles and get to know more Germans. Only then can mutual prejudices be reduced.

W wie Wer bin ich?

Nach „Wie heißt du?“ ist die zweite Frage immer: „Woher kommst du?“. Das ist irritierend: Warum sind die Leute so daran interessiert, woher man kommt? Die Frage könnte zwar einen Dialog eröffnen, aber sehr oft zielt sie darauf ab, jemanden in eine Schublade zu stecken. Es ist bequemer, andere zu kategorisieren, anstatt sie als Menschen mit einer individuellen Identität zu sehen. Menschen im Exil haben viele Identitäten. Es ist fast eine Identitätsstörung.

Who am I?

Nach “Wie heißt du?” ist die zweite Frage immer: “Woher kommst du?”. Das ist irritierend: Warum sind die Leute so daran interessiert, woher man kommt? Die Frage könnte zwar einen Dialog eröffnen, aber sehr oft zielt sie darauf ab, jemanden in eine Schublade zu stecken. Es ist bequemer, andere zu kategorisieren, anstatt sie als Menschen mit einer individuellen Identität zu sehen. Menschen im Exil haben viele Identitäten. Es ist fast eine Identitätsstörung.

X wie das Unbekannte

Gibt es Schokolade, wo Du herkommst? Gibt es Wohnhäuser? Als Geflüchteter muss man sich absurde Fragen gefallen lassen. Dass es in der Aufnahmegesellschaft eine Informationslücke gibt, ist eines der Hauptprobleme. Die Angst vor „dem Anderen“ – dem Unbekannten – ist immer da. Nicht nur bei den Aufnahmegesellschaften, sondern auch bei den Geflüchteten. Mit mehr Informationen würden beide Seiten leichter zueinander finden.

X: The Unknown

Do they have chocolate where you come from? Do they live in houses? As a refugee, you’re constantly being confronted with absurd questions. The information gap in the host society is one of the main problems. The fear of “the Other”—the unknown—is always there. Not only among in the host society but also among refugees. With more information, both sides would come together more easily.

Y wie Yallah! – Wir schaffen das!

“Wir schaffen das!”– dieser Satz der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der vielen Geflüchteten 2015 steht für eine Menschlichkeit jenseits von politischen Grenzen und Nationen. Man kann ihn aber auch auf viele von uns beziehen: Hoffnung ist der Grund, warum die meisten Geflüchteten es wagen, die Flucht anzutreten. Es ist dieser Optimismus, der uns befähigt, ein neues Leben aufzubauen, Teil einer neuen Gesellschaft zu sein und uns selbst ständig herauszufordern.

“Wir schaffen das!” (Yes we can do this!) It’s what German Chancellor Angela Merkel said in response to the arrival of many refugees in 2015. The sentence stands for a humanity that extends beyond political borders and nations. But it also applies to many of us. Hope is the reason why most refugees dare to set forth. It is this optimism that enables us to build new lives, to be part of a new society, and to constantly challenge ourselves.

Z wie Zukunft

Zunächst treibt einen die Angst ins Exil: Angst vor Krieg, Angst vor Verfolgung. Dann warten neue, andere Ängste in Deutschland. Wie geht es meiner Familie? Werde ich mir hier eine Zukunft aufbauen können? Man wechselt ständig verschiedene Ängste gegeneinander aus. Die Leute erwarten von uns, dass wir sofort einen Plan haben. Aber das Ziel kann erstmal darin bestehen, sicher zu sein. Ankommen heißt dann, weniger an die Vergangenheit und mehr an die Zukunft zu denken – eine bessere Zukunft.

Future

At first, fear is what drives you into exile: fear of war, fear of persecution. New and different fears are then waiting in Germany. How is my family? Will I be able to build a future here? Refugees are constantly trading one fear for another. People expect us to have a plan right away, but things change. The first goal is to be safe. Then comes arrival, which means thinking less about the past and more about the future: a better future.

In einem Online-Workshop, den die Stiftung Exilmuseum und das We Refugees Archiv im Januar 2021 organisierten, sprachen Menschen mit Fluchterfahrungen über ihre Erfahrungen im Exil in Berlin und entwickelten gemeinsam ein ABC des Ankommens.

Das Alphabet des Ankommens wurde 2021 auch im Rahmen der Containerausstellung ZU/FLUCHT auf dem Gelände des entstehenden Exilmuseums am Anhalter Bahnhof gezeigt.

Herzlichen Dank an die Teilnehmer:innen Isa Artar, Kefah Ali Deeb, Alaa Muhrez, Widad Nabi, Ibrar Mirzai und Nazeeha Saeed.