Benzion Benshalom erzählt vom von Nöten geprägten Alltag der Geflüchteten in Vilnius und ihren Sorgen um die Maßnahmen der litauischen Behörden, aber auch von den Momenten der Freude und Hoffnung bei nächtlichen Versammlungen und Festen.
„צרות לא חסרנו. הודות ל“ג׳וינט“: לא רעבו אלפי הפליטים ולא לנו ברחובות ובדרך כלל היה להם גם בגד ללבוש, אך צרות ויסורים לא חסרו. ראשית כל: ענין הלגליזציה. כמה ממרורים השביעתנו לגליזציה זו! כשבועיים התגלגלנו בחדר, שדמה למאורה, עד שהביאו לנו חברינו פתקאות, המעידות כמאה עדים, כי הגענו לוילנה לפני חדשים אחדים. בטרם צויידנו באישורים האלה כמעט שלא יצאנו לרחוב וגם במאורתנו לא ידענו מנוחה. המשטרה היתה עורכת חיפושים והפליטים הבלתי־לגליים, ז״א אלה, שלא יכלו „להוכיח“, כי הגיעו לוילנה לפני כניסת הצבא הליטאי — היו נאסרים. כמה מהאסירים נשלחו בחזרה למקומות, שמשם באו. ישבנו, איפוא, במאורתנו וכצפותנו לגואל ציפינו ל“פתקאות“ הנפלאות האלה, העלולות להעלות ארוכה למכותינו ולחבוש פצעינו. כשהוכרחנו לצאת לרחוב, נחפזנו בלכתנו וכגנבים התחמקנו וכל „הונדערטאכציגער“ (כה קראו יהודי וילנה לשוטרים הליטאיים, גבהי הקומה) היה מפעים לבותינו. סוף־סוף הושגו „הפתקאות“. נשמנו לרווחה וכבבת עין שמרנון.
נפטרנו, אפוא, מענשה של הלגליזציה ודימינו, כי נזכה למנוחה פורתא. טעינו. רוגזן של רגיסטרציות קפץ עלינו. השלטונות ניגשו להסדיר את עניניהם של אלפי הפליטים ולשם כך נערכו רגיסטרציות. ידענו, שהממשלה רוצה לפזר את הפליטים בערי השדה הקטנות ושרק מתי מעט יישארו בוילנה. חרדה אפפתנו. סיכוי נאה! נשב בעיירה ליטאית נידחת או בכפר ליטאי נידח, רחוקים ממרכז יהודי ונתונים להשגחתה של המשטרה. התחלנו לחבל תחבולות וכל הימים חשבנו, איך לסכל את העצה היעוצה עלינו. קראנו וחזרנו וקראנו את כל השאלות שבשאלון הרגיסטרציה ואחר כך ישבנו בחברותא במועדון של אגודת הסופרים־הפליטים או באחד הקיבוצים החלוציים או באחד המטבחים, שהוקמו מטעם הג׳וינט, והתפלפלנו והתווכחנו שעה אחר שעה, שעה אחר שעה. איך עלינו למלא את השאלונים? הנה שואלים אותך, היודע אתה את עבודת האדמה. מה להשיב? כולנו מסכימים, שיש להשיב, כי איננו יודעים עבודה זו. ואיך ממלאים את הרובריקה „מקצוע“? בשאלה זו רבים חילוקי הדעות. יש אומרים, כי מוטב שתכתוב, שסופר אתה או מורה, כל מר: אינטליגנט, משום שהאינטליגנציה עתידה להישאר בוילנה. ויש אומרים: איפכא מסתברא. דוקא האינטליגנציה תגורש לערי השדה. הסיבה? הליטאים מעונינים בכך שהפליטים-האינטליגנטים הפולניים יצאו את וילנה. ממילא יגורשו גם ה“אינטליגנטים“ היהודיים. שעה אחר שעה ישבו והתפלפלו ולבסוף החליטו, שיש למסור את העניו לועדת „מומחים“, והם, ה“מומחים“, סידרו הכל. לא במלחמה ולא בתפילה, חלילה. בדורון, בדורון. ונשארנו בוילנה.
כן, צרות לא חסרנו. אך היו גם רגעים של אושר והתעלות, רגעים יקרים, שלא יסולאו בפז. הנה הביאו לנו חברינו הקובנאים גליונות אחדים של עתונים עברים מא״י. התנפלנו על העתונים וקראנום בצמאון וברטט. ומה גדלה שמחתנו, כשקיבלנו מהם ספר עברי חדש, מאלה שהופיעו בא״י בחדשים האחרונים שלפני המלחמה ובחדשי המלחמה הראשונים! ובעיקר: המסיבות והנשפים, שהיו נערכים במקומות שונים ובהזדמנויות שונות. היינו מתכנסים ומבלים שעות אחדות בחברותא. היינו שרים וחולמים בהקיץ. כשקמים היינו לדבר בנשפים האלה, היה מי פלאי אוחזנו בציצית ראשנו ומכריחנו לספר על ימי היאוש והסבל, שמונו לנו בשטחי הכיבוש אשר משם באנו, ועל התלאות שסבלנו והגלגולים שנתגלגלנו עד שבאנו לליטא. הנשפים האלה! כמה הרעידו את הלב המלים הפשוטות ששמעת שם וכמה מתקה לחך כוס התה שנמזגה לך! כמה וכמה חוגי אמיגרציה היו בליטא. היתה אמיגרציה פולנית, היתה אמיגרציה „בונדאית“. האמיגרציה שלנו, הציונית, רק היא הצליחה ליצור אוירה חמה, רק היא הצליחה לברוא סביבה מתאמת. הימים היו גדושי צרות ורגיסטרציות והערבים היו קודש לזכרונות ולחלומות.“
„An Nöten mangelte es nicht. Dank dem ‚Joint‘ hungerten die tausenden Geflüchteten und wir nicht, und auf der Straße und im Allgemeinen hatten sie auch Kleidung zum Anziehen, doch an Nöten und Qualen mangelte es uns nicht. Allem voran: die Sache mit der Legalisierung. Mit wie vielen Verbitterungen nährte uns diese Legalisierung? Ungefähr zwei Wochen lang harrten wir im Zimmer aus, das einem Verschlag ähnelte, bis unsere Freunde uns die Zettel brachten, die wie 100 Zeugen 11In halachischer Tradition ein Ausdruck für besondere Zuverlässigkeiteiner Person, die vor Gericht aussagt bestätigten, dass wir vor einigen Monaten nach Vilnius gekommen waren. Bevor wir mit diesen Bestätigungen ausgestattet worden waren, waren wir so gut wie nie raus auf die Straße gegangen und auch in unserem Verschlag hatten wir uns nicht sicher gefühlt. Die Polizei führte Durchsuchungen durch und die illegalen Geflüchteten – also diejenigen, welche nicht ‚beweisen‘ konnten, dass sie vor der Ankunft der litauischen Armee nach Vilnius gekommen waren – wurden festgenommen. Einige der Inhaftierten wurden an die Orte zurückgeschickt, aus denen sie kamen. Daher saßen wir in unseren Verschlägen und warteten wie in der Hoffnung auf den Messias auf diese wunderbaren ‚Zettel‘, die uns heilen und unsere Wunden bedecken sollten. Wenn wir doch gezwungen waren, auf die Straße zu gehen, gingen wir eiligen Schrittes und entschlüpften wie Diebe und jeder ‚Hundertachtziger‘ (so nannten die Juden von Vilnius die litauischen Polizisten wegen ihrer Größe) versetzte unsere Herzen in Aufregung. Endlich konnten die „Zettel“ organisiert werden. Wir waren erleichtert und hüteten sie wie unseren Augapfel.
Wir wurden also die Last der Legalisierung los und hofften, ein wenig zur Ruhe kommen zu können. Wir irrten uns. Der Zorn der Registrierungen sprang uns an. Die Behörden schickten sich an, ihre Angelegenheiten mit den tausenden Geflüchteten zu ordnen und führten dafür Registrierungen durch. Wir wussten, dass die Regierung die Geflüchteten in den Kleinstädten auf dem Land verteilen wollte und dass nur sehr wenige in Vilnius bleiben würden. Furcht machte sich breit. Ein großes Risiko! Wir würden in einem abgelegenen Städtchen oder einem abgelegenen Dorf hocken, weit entfernt vom jüdischen Zentrum und der Aufsicht der Polizei ausgeliefert. Wir fingen an, listige Manöver auszuhecken und jeden Tag sannen wir darüber nach, wie wir den über uns gefallenen Beschluss vereiteln könnten. Wir lasen und lasen immer wieder alle Fragen des Registrierungsfragebogens und danach saßen wir im Freundeskreis im Gemeinschaftsquartier der Gesellschaft der geflüchteten Schriftsteller oder in einem der Versammlungsorte der Chaluzim22Bezeichnung für zionistische Pioniere oder in einer der Großküchen, die durch den Joint errichtet wurden, und stritten und diskutierten hin und her, Stunde um Stunde, Stunde um Stunde. Wie sollten wir die Fragebögen ausfüllen? Hier fragen sie dich: ‚Kannst du auf dem Feld arbeiten?‘ Was antworten? Wir alle waren uns einig, dass die richtige Antwort wäre, wir verstünden nichts von dieser Arbeit. Und wie füllt man die Rubrik ‚Beruf‘ aus? In dieser Frage spalten sich die Meinungen mehr. Die einen sagen, es sei besser, wenn du antwortest, du seist Schriftsteller oder Lehrer, also Intellektueller, weil die Intelligenzija bestimmt in Vilnius bleiben soll. Und andere sagen: Im Gegenteil! Ausgerechnet die Intellegenzija wird in die Städte auf dem Land verwiesen werden. Der Grund? Die Litauer seien daran interessiert, dass die intellektuellen, polnischen Geflüchteten Vilnius verlassen. In jedem Fall würden sie auch die jüdischen ‚Intellektuellen‘ verweisen. Stunde um Stunde saßen sie und diskutierten hin und her und beschlossen am Ende, dass die Angelegenheit einem Rat von ‚Experten‘ überlassen werden sollte, und diese ‚Experten‘ arrangierten alles. Weder durch Kampf noch durch Gebet, Gott verhüte! Durch Geschenke, durch Geschenke. Und wir blieben in Vilnius.
Ja, an Sorgen mangelte es uns nicht. Aber es gab auch Momente des Glücks und Hochgefühls, wertvolle Momente, die nicht mit Gold aufgewogen werden können. Mal brachten uns unsere litauischen Freunde vereinzelte Ausgaben von hebräischen Zeitungen aus Eretz Israel. Wir stürzten uns auf die Zeitungen und lasen sie durstig und zitternd. Und wie groß war unsere Freude, wenn wir von ihnen ein neues hebräisches Buch von denen erhielten, die in den vergangenen Monaten – vor dem Krieg oder in den ersten Monaten des Krieges – im Eretz Israel erschienen waren. Und vor allem: Die Tanzfeste, die an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Anlässen gehalten wurden. Wir versammelten uns und verbrachten einige Stunden im Kreis von Freunden. Wir sangen und hingen Tagträumen nach. Wenn wir bei diesen Tanzfesten aufstanden um zu sprechen, war es wie ein unbewusstes Wesen, das uns am Schopf packte und uns zwang, über die Zeit der Verzweiflung und des Leids zu sprechen, das uns in den besetzten Gebieten, aus denen wir gekommen waren, zugefügt worden war, und all die Nöte, die wir erlitten hatten, und all die Umwege, die wir machen mussten, bevor wir nach Litauen kamen. Diese Tanzfeste! Wie sehr schüttelten die einfachen Worte, die du dort hörtest, das Herz, und wie süß war dem Gaumen die Tasse Tee, die dir dort eingeschenkt wurde. Emigrationsgruppen gab es in Litauen noch und nöcher! Es gab die polnische Emigration, es gab die ‚bundistische‘ Emigration. Aber nur unsere Emigration, die zionistische, vermochte es, eine warme Atmosphäre zu schaffen, nur sie schaffte es, eine zusammenschweißende Umgebung aufzubauen. Die Tage waren vollgestopft mit Sorgen und die Nächte waren den Erinnerungen und Träumen gewidmet.“
Fußnoten
1In halachischer Tradition ein Ausdruck für besondere Zuverlässigkeiteiner Person, die vor Gericht aussagt
Benzion Benshalom erzählt von den Nöten jüdischer Geflüchteter in Vilnius im ersten Winter nach Kriegsbeginn. In diesem Abschnitt schildert er die Probleme mit litauischen Behörden, denen Geflüchtete nachweisen mussten, bereits vor der Übernahme der Stadt durch Litauen im Oktober 1939 in Vilnius gewesen zu sein. Geflüchtete, die dies nicht nachweisen konnten, wurden illegalisiert und mussten sich um gefälschte Nachweise ihrer früheren Ankunft bemühen oder verstecken. Zudem beschreibt er die Angst davor, von den litauischen Behörden auf das Umland verteilt zu werden, ein Problem, das in seinem Fall anscheinend durch Bestechung gelöst wurde. Diesem sorgenvollen Alltag zum Trotz gab es, so Benshalom, Momente der Freude und Hoffnung. So schildert er ausgelassene Tanzfeste in den Nächten Vilnius.
Benzion Benshalom (Katz) wurde 1907 in Galizien geboren und studierte, promovierte und lehrte bis 1939 an der Krakauer Universität Hebräisch. Wie viele andere polnischen Jüdinnen*Juden floh er vor der einmarschierenden Wehrmacht 1939 mit seiner Familie in das bis 1941 noch neutrale und unbesetzte Vilnius. Die gerade erst im Oktober 1939 unter litauische Kontrolle gekommene Stadt wurde mit Kriegsbeginn zum Zufluchtsort für tausende jüdische und nicht-jüdische Geflüchtete aus dem besetzten Polen. Im Frühjahr 1940 gelang es ihm, von dort aus ins Mandatsgebiet Palästina zu emigrieren. Bis zu seinem Tod 1968 arbeitete er u. a. an der Tel Aviv University als hebräischer Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Autor. Vor und nach seiner Immigration war Benzion Benshalom (Katz) in zionistischen Organisationen aktiv, so leitete er zwischen 1941 und 1963 das Jugend- und Hechaluz Departement der Jewish Agency. 11Jewish Virtual Library: KATZ (Benshalom), BENZION, in: Jewish Virtual Library, https://www.jewishvirtuallibrary.org/katz-benshalom-benzion (13.03.2020).
Seine Erinnerungen an die Zeit in Vilnius hielt er im bereits Anfang der 1940er Jahre veröffentlichten Buches „Im Sturm eines windigen Tages“ (בסער ביום סופה), im Kapitel „Tage und Nächte in Vilnius“ (ימים ולילות בוילנה) fest. Für Benshalom ist Vilnius, das „Jerusalem von Litauen“, von Anfang an eine Zwischenstation auf dem Weg in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, aus dem Benshalom wie hier geschildert mit großer Aufregung Bücher und Zeitungen empfing. Vilnius war wie andere europäische und insbesondere mittel- und osteuropäische Städte schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Zentrum mehrerer zionistischer (Jugend)Organisationen wie HeChaluz oder HaShomer HaTzair geworden, die jüdische, ausreisewillige Menschen mit landwirtschaftlichen und handwerklichen Schulungen auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten und ihre Emigration dorthin organisierten. 22Yad Vashem, 2020: The Interwar Period. Parties, Movements and Organizations. Zionist Youth Movements, in: Yad Vashem. The Jerusalem of Lithuania. The Story of the Jewish Community of Vilna, https://www.yadvashem.org/yv/en/exhibitions/vilna/before/zionist_youth_movements.asp (13.03.2020). Benshalom zählte sich zu dieser „zionistischen Emigrationsgruppe“, die er unter anderem von der „bundistischen“ Gruppierung unterschied, in der unter anderem Herman Kruk aktiv war.
Benshalom beschreibt Vilnius einerseits als Hafen der Hoffnung für jüdische Geflüchtete, die dort noch die Organisationen und Strukturen vorfinden, die unter sowjetischer und deutscher Besatzung unterdrückt wurden. Anfangs drückt er wie hier seine Euphorie angesichts der virulenten Tätigkeiten und hoffnungsvollen Versammlungen dieser zionistischen Organisationen und bezeugt die Strukturen jüdischer Hilfe zur Selbsthilfe in Vilnius. So erzählt er von den umfangreichen Unterstützungstätigkeiten des Joint, und vom Hauptquartier der geflüchteten polnisch-jüdischen Schriftsteller. Die umfangreichen jüdischen Selbsthilfestrukturen in der Stadt sind im im Rahmen des We Refugees Projekts entstandenen Film „Refugium: Vilnius?“ gut nachzuvollziehen.
Andererseits beschreibt Benshalom die vielen Schwierigkeiten und Ängste der verschiedenen nach Vilnius geflüchteten Menschen: den harten Winter, die Furcht vor der drohenden deutschen Besatzung, das Verstecken vor den litauischen Behörden, die allgemeine Verzweiflung in einer Stadt, die er zunehmend als trostlos wahrnahm.
2Yad Vashem, 2020: The Interwar Period. Parties, Movements and Organizations. Zionist Youth Movements, in: Yad Vashem. The Jerusalem of Lithuania. The Story of the Jewish Community of Vilna, https://www.yadvashem.org/yv/en/exhibitions/vilna/before/zionist_youth_movements.asp (13.03.2020).
Exzerpt aus:
Benshalom, Benzion, 1943/44: BeSa’ar beYom Sufa, Polin (בסער ביום סופה. פרקי פולין) [Im Sturm eines windigen Tages, Abschnitte über Polen]. Tel Aviv: Mosad Bialik. Abschnitt 4/Dalet, S. 156-158.