Unterstützung

Unterstützungsnetzwerke von und für Geflüchtete waren und sind von zentraler Bedeutung für die Anfangszeit und das weitere Leben nach der Flucht und wirken damals wie auch heute neben- und miteinander. Da die staatlichen Unterstützungsstrukturen oft nicht ausreichen, entwickelt/e sich häufig ein komplexes Netzwerk aus lokalen, transnationalen und globalen, staatlichen und nicht staatlichen, institutionellen und informellen Organisationen, um Geflüchteten materiell, psychologisch und rechtlich zur Seite zur stehen und so den Neustart, soweit es geht, zu erleichtern.

„,Flüchtlinge‘ sind heutzutage jene unter uns, die das Pech hatten, mittellos in einem neuen Land anzukommen, und auf die Hilfe der Flüchtlingskomitees angewiesen waren.“ 11Arendt, Hannah, 2016: Wir Flüchtlinge. Mit einem Essay von Thomas Meyer. 5. Aufl. Stuttgart: Reclam. (amerik. Original 1943), p. 9.

Um in einer Stadt anzukommen und sich dort ein neues Leben aufzubauen, benötigen Geflüchtete  insbesondere direkt nach der Ankunft meist materielle, psychologische und rechtliche Unterstützung. Da die staatlichen Unterstützungsstrukturen oft nicht ausreichen, entwickelt sich ein komplexes Unterstützungsnetzwerk aus lokalen und globalen, staatlichen und nicht staatlichen, institutionellen und informellen Akteuren in der Hilfe und Selbsthilfe für Geflüchtete.

Das Beispiel der polnisch-jüdischen Geflüchteten in Vilnius zeigt das Miteinander von polnisch -jüdischen sowie nichtjüdischen Hilfsorganisationen, des American Jewish Joint Distribution Committee und der jüdischen Selbsthilfe in Vilnius auf, die ein Komitee erfolgreich koordinierte.

„Schon jetzt kann man sagen, dass dank des Komitees für Geflüchtetenhilfe der jüdischen Gemeinde Vilnius, dank der finanziellen Unterstützung des „Joint“, dank der Mitarbeit des TOZ auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge – es in Vilne keinen einzigen hungrigen jüdischen Geflüchteten gibt, jeder Geflüchtete eine Adresse hat, wo er hinkommen und Bedarf anmelden kann und wo er sowohl Kleidung, als auch Wohnhilfe, medizinische Fürsorge, juristische Hilfe und, falls nötig, auch eine fachliche Ausbildung etc. bekommt.“ 22Kruk, Hermann, März 1940: Pleytim (2ter artikel), pp. 14-15 in: Folksgezunt: Ilustrirter populer-visnshaftlekher zshurnal far higyene un meditsin 3, p. 15. Herman Kruk (1897-1944), polnischer Bibliothekar und Aktivist des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes (kurz: Bund) floh angesichts der immanenten Gefahr durch die heranrückende Wehrmacht 1939 aus seiner Heimatstadt Warschau nach Vilnius. Dort lebte er fast vier Jahre und durchlebte das Schicksal der jüdischen Gemeinde unter sowjetischer, litauischer, wieder sowjetischer und schließlich deutscher Besatzung. Von 1941 bis 1943 lebte er im Vilnaer Ghetto. Seine Zeit in Vilna dokumentierte Kruk als Chronist. Im Jahr 1943 wurde Kruk in das Konzentrationslager Klooga nahe Tallinn deportiert, wo er im September 1944 ermordet wurde.

Die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Unterstützungsinitiativen als auch Netzwerken, in denen sich lokale Politik und Administration, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und zivilgesellschaftlichen Vereine und Gruppen zusammenschließen, wird auch fast 80 Jahre später deutlich. Es ist der gemeinsame Einsatz für die Menschenrechte der Geflüchteten, auf dem der Zusammenhalt der heute bestehenden Netzwerke basiert. Dies verbindet auch Selbsthilfestrukturen und lokale Unterstützungsakteure.

Am Beispiel der Stadt Palermo wird die enorme Wichtigkeit lokaler Unterstützungsstrukturen deutlich, um die beachtliche Anzahl an minderjährigen Geflüchteten aufzunehmen. Einsamkeit und das Auf-sich-allein-gestellt-Sein stellt eine enorme Belastung für diese jungen Menschen dar, wie die We Refugees Archiv Teilnehmenden in Palermo berichteten. Es fehlen oft vertraute Personen, die ihnen ein Orientierungsrahmen liefern könnten. Einzelne Personen, Gruppen oder kirchliche und zivilgesellschaftlichen Netzwerke versuchen, diesen wenigstens teilweise zu ersetzen.

Die hier zu Wort kommenden Geflüchteten selbst sind bereits seit 2009 in Palermo aktiv: Ein Beispiel ist das Geflüchtetenkollektiv Giocherenda, welches minderjährige Geflüchtete in Palermo im Jahr 2017 gründeten. Hier geht es neben der Selbsthilfe darum, den Europäer*innen etwas zurückzugeben: „Wir wollen den Europäern helfen“ mit Spielen, die die Solidarität stärken und Erinnerungsarbeit über Storytelling ermöglichen. Damit heben sie auch eine einseitige Vorstellung von Geflüchteten als reine Empfänger*innen von Unterstützung auf und vertreten stattdessen ein positives, handlungsmächtiges und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragendes migrantisches Selbstverständnis.

    Fußnoten

  • 1Arendt, Hannah, 2016: Wir Flüchtlinge. Mit einem Essay von Thomas Meyer. 5. Aufl. Stuttgart: Reclam. (amerik. Original 1943), p. 9.
  • 2Kruk, Hermann, März 1940: Pleytim (2ter artikel), pp. 14-15 in: Folksgezunt: Ilustrirter populer-visnshaftlekher zshurnal far higyene un meditsin 3, p. 15. Herman Kruk (1897-1944), polnischer Bibliothekar und Aktivist des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes (kurz: Bund) floh angesichts der immanenten Gefahr durch die heranrückende Wehrmacht 1939 aus seiner Heimatstadt Warschau nach Vilnius. Dort lebte er fast vier Jahre und durchlebte das Schicksal der jüdischen Gemeinde unter sowjetischer, litauischer, wieder sowjetischer und schließlich deutscher Besatzung. Von 1941 bis 1943 lebte er im Vilnaer Ghetto. Seine Zeit in Vilna dokumentierte Kruk als Chronist. Im Jahr 1943 wurde Kruk in das Konzentrationslager Klooga nahe Tallinn deportiert, wo er im September 1944 ermordet wurde.

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„Kein Mazzesbäcker in Schepetowka oder Berditschew hat je geahnt, dass seine Nachfahren das gleiche Gewerbe in Paris betreiben und über ihrer Backküche die stolzen Worte prangen werden: ‚Fabrique du pain azymé.'“
„Das Ziel und die Arbeit dieser ermutigender Weise gedeihenden amerikanischen Organisation ist es, die Freiheit und den Fortbestand einer Parteimässig nicht gebundenen deutschen künstlerischen und wissenschaftlichen Kultur für diese Gegenwart und für die Zukunft zu sichern.“
„Mein Verantwortungsgefühl verbietet mir trotzdem, mich bei Ihnen für die emergency-Liste anzumelden – es geht mir insofern doch besser als leider vielen andern, da ich immer noch ehrliche Hoffnung in mir trage.“

Kapitel 23